Der Einsatz von Schädlingsbekämpfern unter den besonderen Bedingungen im Strafvollzug
In einer Strafvollzugsanstalt hatten es sich die Insassen zum Zeitvertreib gemacht, Essensreste aus den Fenstern zu werfen und damit Ratten zu füttern. Im Laufe der Zeit hatte sich eine derart große Population entwickelt, dass eine entsprechende Schädlingsbekämpfung unumgänglich war.
Fast alle Freiganghöfe waren betroffen und derart unterhöhlt, dass Teile davon kaum noch begehbar waren.
Die zuständige Verwaltung der Justizvollzugsanstalt (JVA) beauftragte uns, als ein regionales zugelassenes Unternehmen mit der Bekämpfung der Rattenplage. Von Beginn an war klar, dass es sich dabei um eine Aufgabe handeln würde, bei der nicht alle rechtlichen Vorgaben der Gefahrstoffverordnung und der zugehörigen Technischen Regeln (TRGS 512 „Begasungen“) ohne Kompromisse umzusetzen und anzuwenden wären.
Die durch die Gefahrstoffverordnung vorgegebene Anzeigefrist für Begasungen mit Phosphorwasserstoff in Gebäuden beträgt eine Woche. Obwohl für Begasungen im Freien keine Anzeige bei der zuständigen Behörde gesetzlich vorgeschrieben ist, haben wir den Kontakt mit den zuständigen Bearbeitern gesucht und um Unterstützung gebeten
Da es sich um eine Begasung im Außenbereich, aber auch in unmittelbarer Nähe einer Massenunterkunft handelt, wurde in Anlehnung an die Vorschriften zur Schädlingsbekämpfung (Nr. 15 der TRGS 523 „Schädlingsbekämpfung“) empfohlen, auch das Gesundheitsamt zu informieren.
Nach einer gründlichen Begehung des Objektes konnten Fragen und Sachverhalte formuliert werden, die zur Vorbereitung und Durchführung dieser Aktion geklärt werden mussten.
Mithilfe eines Power- Point- Vortrages wurden den Verantwortlichen der JVA und der zuständigen Objektverwaltung die Strategie des Vorgehens, das Begasungsmittel, die damit verbundenen Gefahren und die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen erläutert. Es folgten mehrere telefonische Abstimmungen bis zum Beginn der Begasung.
Die Klärung nachfolgender Fragen standen dabei im Mittelpunkt der Vorbereitung:
- In welchem Zeitraum soll die Bekämpfung der Ratten stattfinden?
- Wie ist der Zugang zur JVA durch die Mitarbeiter der Schädlingsbekämpfungsfirma gewährleistet und welche Grundrisse bzw. Unterlagen können zur Planung zur Verfügung gestellt werden?
- Können die Fahrzeuge des Unternehmens in die JVA einfahren und können diese bevorzugt geschleust werden?
- Wie ist die Erreichbarkeit des Begasungsleiters gewährleistet?
- Unter welchen Bedingungen können zur Dokumentation Fotos gemacht werden?
- Wie viele Begleitpersonen sind von der JVA zu stellen, die entsprechend auszurüsten sind?
- Können Hilfskräfte im Sinne der TRGS 512 von der JVA gestellt werden?
- In welchem Umfang sind Kennzeichnungen der Gefahrenbereiche erforderlich und sinnvoll?
- Mit welchem Befindlichkeiten seitens der Inhaftierten ist zu rechnen?
- Wie kann das Recht der Häftlinge auf Freigang gewährleistet werden?
- Können ausreichende Ausweichzellen zur Verfügung gestellt werden?
- Wie soll die Situation zukünftig vermieden werden?
Phosphorwasserstoff ist ein extrem toxisches, farbloses und brennbares Gas. Charakteristisch ist sein knoblauch- bzw. fischähnlicher Geruch. Phosphorwasserstoffgas, das zur Bekämpfung verwendet wurde, entwickelt sich aus bestimmten Formulierungen (z.B Kugeln oder Tabletten) durch Kontakt mit der Feuchtigkeit im Erdreich und verteilt sich dann innerhalb der Gänge gleichmäßig, nicht zuletzt, weil es schwerer als Luft ist.
Eine Verteilung des Gases innerhalb des Gebäudes konnte aufgrund der vorliegenden Information zur Gebäudehülle ausgeschlossen werden. Bevor die phosphorwasserstoffentwickelten Substanzen in das Erdreich eingebracht werden konnten, mussten unzählige Löcher verschlossen werden. Dazu stellte die JVA das Material und zwei ausgewählte zuverlässige Hilfskräfte zur Verfügung. Die Hilfskräfte wurden entsprechend der TRGS 512 „Begasung“ unter- und in ihre Aufgaben eingewiesen. Durch unterschiedlich farbige Warnwesten konnten die Hilfskräfte der JVA von denen des beauftragten Unternehmens unterschieden werden. Zusätzlich waren zwei Beamte zur Aufsicht abgestellt.
Täglich müssen bis zu 200 Fahrzeuge an der Zu- und Ausfahrt der JVA abgefertigt werden. Aus diesem Grund war es sehr wichtig, dass die Fahrzeuge des Schädlingsbekämpfungsunternehmens bevorzugt abgefertigt werden konnten. Die fristgemäße Erreichbarkeit des Begasungsleiters war zwar immer gesichert, dies musste aber auch beim Schleusen gewährleistet sein.
Die Begasung erfolgte dann in drei Phasen. Zunächst wurden die Löcher geschlossen, dann erfolgte die eigentliche Begasung und in der 3. Phase die Überwachung (auch messtechnisch) bis zur Freigabe. Diese Arbeitsschritte wurden bereichsweise durchgeführt, um den Freigang der Häftlinge in anderen ungefährdeten Bereichen gestatten zu können. Auf eine vorschriftenkonforme Kennzeichnung wurde weitestgehend verzichtet, um die Inhaftierten nicht unnötig zu verunsichern und unbedachte Reaktionen zu provozieren. Die Kennzeichnung der Gefahrenbereiche war nur für das Aufsichtspersonal sichtbar, das intensiv zu dem Verfahren und den Sicherheitsmaßnahmen unterwiesen worden war. Für den Fall des messtechnischen Nachweises des Begasungsmittels innerhalb des Gebäudes wurden Ausweichzellen freigeschalten. Der sogenannte Plan B sah eine Evakuierung der Häftlinge in die Sporthalle vor und es standen Häftlingstransportbusse zur Verfügung, um notfalls eine Verlegung in andere Haftanstalten vornehmen zu können. Innerhalb der Gebäude wurden mit unterschiedlichen Methoden Überwachsmessungen durchgeführt. Es konnte aber zu keinem Zeitpunkt das Begasungsmittel nachgewiesen werden.
Die Häftlinge beobachteten das Geschehen selbst sehr skeptisch, da sie schließlich auch einer Art Freizeitbeschäftigung beraubt wurden. Es soll Insassen gegeben haben, die bis zu 30 Ratten unterscheiden konnten. Teilweise waren die Ratten aufgrund der ungestörten Situation innerhalb der Freiganghöfe nicht mehr nur nachtaktiv, sondern auch am Tage im Freien unterwegs.
Eine nicht unerhebliche Anzahl der Tiere wurden zu Beginn der 2. Phase, dem Einbringen des Begasungsmittels, auch oberirdisch gefangen und getötet, da sie ihrem Fluchtinstinkt folgend ins Freie kamen.
Bei zwei Nachkontrollen konnten keine Begasungsmittel und keine Ratten mehr festgestellt werden. Die Rattenbekämpfung war somit zunächst erfolgreich.
Um diesen Zustand zu erhalten, sind allerdings auch einige organisatorische Maßnahmen innerhalb der JVA durchzusetzen, u.a. ist den Tieren diese Nahrungsgrundlage zu entziehen. Die Auswertung der ständigen Kameraüberwachung ist dazu erforderlich.